Die Einschränkung der Grundrechte, auch deren totale Aussetzung, läßt sich mit den Erfordernissen einer Pandemie-Entwicklung zweifellos begründen; zumal dann, wenn diese Einschränkung zeitlich befristet ist. Zunächst mal ist hier den politischen Akteuren kein Vorwurf zu machen. Zunächst mal. - Das ist eigentlich selbstverständlich, daß die Rücksichtnahme und Solidarität die Bereitschaft zu Einschränkungen nach sich zieht. Doch gilt diese Selbstverständlichkeit auch da, wo es um den Rück- und Abbau dieser Grundrechtseinschätzungen geht? - In diesen Tagen wird uns der Blick nach Amerika empfohlen, verbunden mit dem Hinweis, daß Demokratie, Rechtsstaatlichkeit und Gewaltenteilung stets erneut realisiert werden müssen, daß genau sie keine Selbstverständlichkeiten sind. - Auf seltsame Weise gilt dieser Hinweis für die Politik im eigenen Land offenbar nicht. Zwei Beispiele:
In der Welt zieht Karl Lauterbach einen merkwürdigen Vergleich. Eine Impfung gegen CO2 könne es niemals geben. "Somit benötigen wir Maßnahmen zur Bewältigung des Klimawandels, die analog zu den Einschränkungen der persönlichen Freiheit in der Pandemie-Bekämpfung sind." - Wie lang soll denn der Lockdown der Grundrechte im Fall des Klimawandels sein? Zehn Jahre? Bis 2050? - Hamburgs Zweite Bürgermeisterin, Katharina Fegebank meint, es müßte zunächst eine Impfquote von 60 bis 70 Prozent erreicht sein, um Herdenimmunität zu erreichen. Erst dann könne man alle Grundrechte wieder in Kraft setzen. -
Diese Beispiele sind keine Einzelfälle. Die Verlockung ist groß, das Volk als eine Ansammlung fügsamer Untertanen zu sehen. Grundrechte bekommen den Status von Privilegien, welche man dem Volk im Falle des Wohlverhaltens zubilligt, ansonsten ihm vorenthält. Wenn ihr jetzt alle brav seid, dann dürft ihr auch Weihnachten ein schönes Fest feiern. Das ist die Infantilisierung des Politischen, die schon im Fall Weihnachten nicht aufgegangen ist. Und so wenig wird sie im Fall des Klimawandels nicht aufgehen. Der nicht im Verdacht der Corona-Leugnung stehende Heribert Prantl bringt das in der Süddeutschen Zeitung auf den Punkt: "Grundrechte sind keine Privilegien, die man sich erst durch ein bestimmtes Handeln oder durch ein bestimmtes Verhalten verdienen kann oder verdienen muß. Grundrechte sind keine Belohnung, keine Gratifikation, kein Bonus, kein 13. Monatsgehalt. Sie sind einfach da." -
Nun leben wir gerade nicht in gesellschaftlichen Verhältnissen wie Amerika. Ein gewisses Vertrauen dürfen wir der politischen Klasse zubilligen. Sätze wie die von Karl Lauterbach oder Katharina Fegebank sollten uns allerdings auch wachsam sein lassen. Aus der zweifellos zu Recht erhobenen Forderung nach "Solidarität" könnte am Ende sonst die Realität der illiberalen Demokratie werden. Zunächst mal noch nicht. -
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