Und die Moral von der Geschicht'

Veröffentlicht am 6. Februar 2021 um 20:40

"Ethik ist meistens nur das, was Banausen glauben von Philosophen erwarten zu dürfen." - Man möchte dafür Nietzsche als Verfasser in Verdacht nehmen. Doch mit diesem Satz beginnt Norbert Bolz das Kapitel "Der Ruf nach Ethik" in seinem jüngst erschienenen Essay "Die Avantgarde der Angst". Bolz fährt fort:

"In Wahrheit bietet die ernstzunehmende Philosophie schon seit Jahrhunderten keine Lehre vom richtigen Leben mehr. Selbstkritische Philosophen haben als erste erkannt, dass das Werturteil die argumentative Form einer Illusion ist. Im Klartext heißt das: im Rahmen einer ethischen Diskussion ist es möglich, auch Vorurteile und Ideale so anzubringen, als ob sie gute, logische Gründe seien. (...) Wer nach Moral ruft, ist nicht bereit, umzulernen und will sich das Denken ersparen. [...] Offenbar wirkt schon der Ruf als solcher entlastend. Ethik und Moral gehören zu den Wörtern, deren bloßes Aussprechen schon ein zivilisatorisches Hochgefühl mit sich bringt, inklusive einer den Narzissmus befriedigenden Selbsterhebung über andere." (Norbert Bolz; "Die Avantgarde der Angst"; S. 95f) -

Ohne daß man Bolz in allem folgen muß, so läßt sich der Rigorismus der Moral mitsamt seiner Entrüstungsrhetorik in den öffentlichen Debatten beobachten. Mahner, Betreuer und Betroffenheitsagenturen erklären die Welt, ihre Katastrophen und ihre Apokalypsen. Die Remedur zur Rettung dessen, bei dem es fünf vor zwölf ist - beliebt inzwischen auch fünf nach zwölf - liefern sie gleich mit, so daß das Publikum sieht, wer wieder mal seiner Verantwortung nicht gerecht wird - und das ist immer öfter: der Mensch an sich. Schuldbewußtsein ist die Quelle dieser Verantwortungs-Schuldverschreibung. 

"Der Entrüstungs-Pessimismus erfindet Verantwortlichkeiten." - Das ist nicht von Norbert Bolz, sondern von Nietzsche. 

 

 

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