UNF

Es ist nicht auszuschließen, daß Hans Blumenberg mit der Sigle "UNF", unter der in neun Schubern annähernd zehntausend Typosskriptseiten abgelegt sind, der Blumenberg-Philologie ein Rätsel aufgeben wollte. Steht dieses "UNF" für Unfertiges oder dürfen darin Unerlaubte Fragmente vermutet werden, die Blumenberg dem Risiko eines Nachlasses überantwortete? - Eine der Mappen trägt die Aufschrift Carl Schmitt. Polit. Theol. III. Zitierverbot Okt. 1936. Ernst Jünger. In einer anderen Mappe fand sind der Briefwechsel Blumenbergs mit Carl Schmitt, darin u.a. auch Briefe aus dem Umfeld von Poetik und Hermeneutik. Die Texte über Ernst Jünger sind inzwischen veröffentlicht, ebenso der Briefwechsel mit Carl Schmitt. Die Initiative dazu ging von Hans Blumenberg aus, der den Kontakt zu Schmitt suchte. Dabei wäre es beinahe schon vorher zu einem persönlichen Kennenlernen zwischen beiden gekommen. Der bekannte Schmitt-Schüler Ernst Forsthoff hatte Blumenberg bereits zu seinen Ebracher Ferienseminaren 1970 eingeladen, bei denen auch Carl Schmitt zu Gast war. Die Gelegenheit, ihn zum Thema "Säkularisation" (1965) einzuladen hatte man verpaßt und im Jahr darauf erschien Die Legitimität der Neuzeit. Blumenberg war soeben nach Münster berufen und sagte ab. Auch im Jahr darauf kam es zu einer Reise nach Ebrach. 

"Ich bin mir bewußt, daß ich Ihnen diesmal eine Zusage geschuldet hätte." (Blumenberg am 15. Juni 1972 an Ernst Forsthoff). Blumenberg hatte bereits das Kolloquium Poetik und Hermeneutik abgesagt und schließt seinen Brief mit: "Ich würde mir von Ihrem Ferienseminar viel versprechen, aber ich würde andere sehr erzürnen, wenn ich jetzt aus der Insistenz auf Konzentration herausträte." - Die Ebracher Ferienseminare waren für Carl Schmitt, der Ende 1945 aus dem Staatsdienst entlassen worden war und sich später um keine Professur mehr bemüht hatte - die er wohl auch nicht mehr bekommen hätte - , eine Gelegenheit, sich als Staatsrechtler gegenüber einer ausgewählten Kollegenschaft zu profilieren. Diese Ferienseminare dauerten in der Regel zwei Wochen; im holzgetäfelten Jagdzimmer des Gasthofs "Löwenbräu" trafen sich vormittags die Teilnehmer und es fand nur ein einziger Vortrag, ohne Manuskript gesprochen, statt. Anschließend gab es eine kurze Aussprache, dann eine ausgedehnte Mittagspause; danach wurde die Diskussion fortgesetzt bis zum Abend. Am Ende der ersten Woche fand dann ein gemeinsamer Ausflug statt. Zu den Teilnehmern der Ebrachter Ferienseminare gehörten u.a. der spätere Verfassungsrichter Ernst-Wolfgang Böckenförde, Werner Conze, Arnold Gehlen, Dieter Henrich, Kurt Hübner, Martin Kriele, Reinhart Koselleck, dessen Korrespondenz mit Carl Schmitt kürzlich veröffentlicht wurde, Hermann Lübbe, Joachim Ritter, Robert Spaemann, Ernst Tugendhat und Niklas Luhmann. 

Das Strafgericht der Zeitgenossen käme heute über den, der freimütig sein Interesse an einem Denker wie Carl Schmitt einräumte. Daß der im Nazijargon genannte "Halbjude" Blumenberg den Kontakt zum "Kronjuristen des Dritten Reichs" suchte und fand, mag erstaunen. Doch spricht es für den Altenberger Philosophen, daß er es ablehnte, "Weltgericht zu spielen". - 

"Der absolute Leser" 

 

Am 10. November hat das von der amerikanischen Philosophin Susan Neimann geführte EinsteinForum eine Online-Veranstaltung zur Blumenberg-Biographie von Rüdiger Zill (Der absolute Leser) abgehalten. Der Kracauer-Biograph Jörg Später und die Latinistin Melanie Möller, die über die Antikebezüge Hans Blumenbergs gearbeitet hat, im Gespräch mit Rüdiger Zill: